Institutsgeschichte
Kunstgeschichtsunterricht an der Handelshochschule Köln 1901-1919
Schon vor Gründung der Universität wurde in Köln akademischer Unterricht zur Kunstgeschichte an der 1901 gegründeten Städtischen Handelshochschule erteilt.
Die Lehre der Kunstgeschichte an der Kölner Handelshochschule wird von 1901 bis 1915 vor allem von Kunsthistorikern aus den Kölner Museen getragen. Das Lehrangebot wird bis 1919 trotz des Personalmangels im 1. Weltkrieg kontinuierlich vermehrt. Seit 1915 wird die Lehre dabei jedoch vornehmlich habilitierten Kunsthistorikern übertragen und zu einem größeren Teil in Form nicht öffentlicher Fachveranstaltungen abgehalten. Kunstgeschichte wird damit von einem gleichsam beliebigen, geisteswissenschaftlichen Ergänzungsfach zum Fachstudium.
Inhaltlich liegt in der kunstgeschichtlichen Lehre an der Handelshochschule ein auffälliger Schwerpunkt auf der Kunst des 19. Jahrhunderts, der Avantgarde und dem Kunstgewerbe. Diese Gebiete gehören in der universitären Kunstgeschichte der Zeit nicht zum Kern des Faches. Man mag dies als Anpassung oder Ausrichtung auf Bedürfnisse und Neigungen der aus Gewerbe und Handel kommenden Hörerschaft interpretieren - so werden in Weltausstellungen künstlerische, technische und handwerkliche Landesprodukte miteinander in einer Leistungsschau präsentiert, geschätzt und vermarktet. Dieser Schwerpunkt könnte sich gegenüber einem in der universitären Kunstgeschichte stärker ausgebildeten Kanon der "Meisterwerke" aber auch aus der Lehrfreiheit der Dozenten, die aus der (Museums-)Praxis kommen, erklären lassen.
Den kunsthistorischen Kanon bilden die Kunst Italiens, der Niederlande und Deutschlands, doch ist insgesamt das Spektrum der behandelten Gebiete überraschend breit. Insbesondere von Vertretern der älteren Generation, das heißt zum Beispiel von den Museumsdirektoren Creutz und Aldenhoven, werden gelegentlich antike, germanische, islamische oder volkskundliche Themen behandelt, die nach heutigem Verständnis ins Fach der Archäologie, der Vor- und Frühgeschichte bzw. Völker- und Volkskunde fallen. Von den jüngeren Fachkollegen werden solche Themen allerdings nicht mehr behandelt. Damit zeichnet sich bereits hier eine Tendenz ab, die in den 1920er Jahren in der Kölner Universität zur Einrichtung jeweils eigener Lehrstühle für Archäologie und Vor- und Frühgeschichte bzw. Völker- und Volkskunde führt. Nur einzelne Veranstaltungen oder Vorlesungen sind ausgewiesen als "Vorträge mit Lichtbildern". Daraus könnte man schließen, dass die Mehrzahl der Veranstaltungen ohne Lichtbilder auskam. Ob und wie die Ausführungen visuell veranschaulicht wurden, muss offenbleiben.
Längere Fassung mit weiteren Informationen zum Lehrprogramm im Fach Kunstgeschichte an der Kölner Handelshochschule
Der akademische Unterricht der Handelshochschule sah einen zweijährigen Lehrkurs vor, der sich in fünf zu belegende Bereiche gliederte:
- Volkswirtschaftslehre einschließlich Verkehrs-, Gewerbe- und Sozialpolitik,
- Rechtslehre,
- Naturwissenschaft und Technik,
- Geographie und Warenkunde,
- Kaufmännische Fächer und Sprachen (Englisch, Französisch).
Ergänzend zu diesen Pflichtveranstaltungen gab es abends öffentliche Vorlesungen aus dem Bereich der Geisteswissenschaften. Sie umfassten deutsche und ausländische Geschichte, Kunstgeschichte, Literaturgeschichte und Philosophie. Für diese Fächer stellte man nicht eigens Professoren ein, sondern bat Kollegen aus anderen Institutionen um Mitwirkung.
Für kunsthistorische Vorlesungen wandte man sich zunächst nach Bonn: So hielt der berühmte Bonner Ordinarius Paul Clemen die kunsthistorische Eröffnungsvorlesung 1901 über "Rheinische Kunstgeschichte", verzichtete dann jedoch auf weitere Mitwirkung. Mehr Unterstützung fand man bei den Kölner Museen und ihren Leitern. Der Direktor des Wallraf-Richartz-Museums, Prof. Hofrat Carl Aldenhoven, hielt von 1902-1908 regelmäßig Vorlesungen über die Kunst der Renaissance in Italien und nördlich der Alpen, die Malerei des 17. Jahrhunderts und Ästhetik, aber ebenso über antike Plastik und islamische Kunst. Hier zeigt sich noch ein breiteres Verständnis des Faches Kunstgeschichte als heute üblich. Zwar hatte das Wallraf-Richartz-Museum eine Sammlung antiker Gipsabgüsse, doch diese wurde von Dr. J. Poppelreuther (1918 Direktor des Wallraf-Richartz-Museums) betreut. Der eigentliche Forschungsschwerpunkt Aldenhovens, die Erforschung der Altkölner Malerei, schlägt sich in seinen Vorlesungsthemen wiederum nicht nieder. Nachfolger von Prof. Aldenhoven wird Dr. Alfred Hagelstange, der ebenso wie seine Assistenten am Wallraf-Richartz-Museum, Dr. Lindner und Dr. Poppelreuther andere Akzente setzt: Neben den kunsthistorischen Klassikern, der Kunst der italienischen Renaissance und den großen Künstlergestalten wie Dürer, Michelangelo, Rembrandt und Rubens, werden die Altniederländer und die Altkölner Maler ins allgemeine Blickfeld gerückt; auch Graphik und Buchillustration werden nun bedacht. Besondere Aufmerksamkeit gilt jedoch der Kunst des 19. Jahrhunderts, also fast noch der Gegenwartskunst.
Das kunsthistorische Angebot wird von anfangs einer Vorlesung bald auf drei bis vier Veranstaltungen erweitert - noch mehr, wenn man die nach heutigem Verständnis archäologischen, frühgeschichtlichen oder völkerkundlichen Veranstaltungen hinzuzählt, die damals von der Kunstgeschichte noch nicht streng geschieden waren. Die Architekturgeschichte ist 1904-1907 durch den Preußischen Regierungsbaumeister Carl Moritz vertreten, zunächst in Form allgemeiner Einführungen, dann mit Akzent auf bürgerlichem Wohnen und zeitgenössischem Design. Dieses Interesse an Wohnbau und Ausstattung lässt sich ebenso bei Moritz' Nachfolger, dem Dombaumeister Ludwig Arntz, erkennen, der 1909 ein einmaliges Intermezzo gibt - danach kommt die Architekturgeschichte nurmehr am Rande vor.
Im Gegensatz dazu findet in Köln - wohl nicht zuletzt durch die bedeutenden kunstgewerblichen Sammlungen des Kunstgewerbemuseums mit seinem Annex zur mittelalterlichen Sakralkunst aus der Stiftung Alexander Schnütgens (Stiftung 1906, Anbau 1910) - das Kunstgewerbe schon früh und andauernd besondere Berücksichtigung: Von 1905-1907 lehrt an der Handelshochschule der Leiter des Kölner Kunstgewerbemuseums Otto v. Falke, ein Initiator und Träger der Sonderausstellungen zur Rheinischen Kunst (Düsseldorf 1902). 1909-1915 folgt ihm Direktor Creutz in Amt und Lehre nach. Sein Themenspektrum reicht von der "Frühkunst der Germanen" bis zu "Architektur und Kunstgewerbe des 19. Jahrhunderts", umfasst aber auch Volkskunst, Wohnkultur und "Geschmacksbildung des Kaufmanns". Von 1912-1915 ergänzte der Kustos und spätere Leiter (1918) des Schnütgenmuseums Dr. Fritz Witte (1876-1937) das kunstgewerbliche Lehrangebot um Veranstaltungen zur spätantiken Kunst sowie zur Trachtenkunde anhand von Kunstdenkmälern und zur italienischen Kunst.
1915 lässt sich bezüglich des kunsthistorischen Lehrpersonals der Handelshochschule ein Wandel erkennen. An Stelle der bisher die Lehre tragenden Kunsthistorikern aus den verschiedenen Kölner Museen tritt der an der Handelshochschule 1914 habilitierte Privatdozent Eugen Lüthgen. Dieser, 1907 in München zum Dr. iur. und Dr. phil. promoviert und dann im Kölner Kunstgewerbemuseum tätig, bietet nun jedes Semester gleich mehrere Veranstaltungen an, darunter Übungen und nicht öffentliche Führungen durch die Museen. Hieran ist innerhalb der Handelshochschule ein neues Verständnis der bisher als geisteswissenschaftliche Ergänzung des Fachstudiums aufgefassten Vorlesungen abzulesen. Denn neben der Aufgabe der Beförderung einer kaufmännisch-bürgerlichen Allgemeinbildung, die weiterhin durch öffentliche Vorlesungen gewährleistet wird, tritt nun eine kunstgeschichtliche Fachausbildung einzelner Student*innen in nicht öffentlichen Veranstaltungen.
Während für die bisherigen, aus dem Museumsbereich kommenden Dozenten die Lehre gleichsam eine öffentlichkeitswirksame Ergänzung und Erweiterung ihrer eigentlichen Tätigkeit war, ist für den Privatdozenten Lüthgen die Lehre an der Handelshochschule Hauptaufgabe und die Ausbildung kunsthistorischen Nachwuchses nach eigenem Selbstverständnis wohl ein wichtiges Anliegen - auch mit Blick auf eine künftige Erlangung einer ordentlichen Professur. Doch die Handelshochschule besaß nicht das Promotionsrecht und Kunstgeschichte - wie die übrigen universitären Fächer - war zu dieser Zeit im Deutschen Reich (und in Köln bis 1960) nur als Promotionsstudiengang zu studieren und mit Promotion abzuschließen. Somit konnte Lüthgen an der Kölner Handelshochschule trotz seiner formalen Qualifikation als Privatdozent keine Kunsthistoriker*innen ausbilden. Dies ist als ein Grund für seine Umhabilitation nach Bonn 1918/1919 anzusetzen. Ein weiterer Grund dürfte darin zu sehen sein, dass bereits geplant war, die Handelsschule aufzulösen und dessen Lehre neustrukturiert in einer künftigen Kölner Universität zu integrieren. Diese auf Fachseminare basierende neue Universität wurde vom damaligen Bürgermeister Konrad Adenauer stark forciert.
Lüthgen machte sich zwar Hoffnungen auf eine künftige Professur in Köln, musste jedoch für die Übergangszeit anderweitig unterkommen. Mit der Auflösung der Handelshochschule endet seine Lehrtätigkeit in Köln 1919.
Lüthgens Lehrprogramm weist zwei Schwerpunkte auf: die italienische und deutsche Kunst des 15. Jahrhunderts und die moderne Kunst. Insbesondere werden von ihm hier die Themenbereiche Kunstgewerbe und Industrieproduktion einschließlich Reklame, die Malerei der Avantgarde, des Impressionismus und Expressionismus behandelt. Diese Aufgeschlossenheit gegenüber der Moderne steht (zumindest scheinbar) im Widerspruch zu seiner aktiven Unterstützung des Nationalsozialismus und seinem agitatorischen Hervortreten mit einer Brandrede zur Bücherverbrennung auf dem Bonner Marktplatz am 10.5.1933, in der er den Sitten und Werte verderbenden Geist der modernen Literatur geißelt (vgl. Hans Naumann/Eugen Lüthgen, Kampf wider den undeutschen Geist, Bonn 1934). Dieser Widerspruch findet sich in vergleichbarer Weise aber auch bei anderen nationalsozialistisch gesonnenen Kunsthistoriker*innen wie Wilhelm Pinder.
Seit 1915 war Kunstgeschichte in Köln also nicht mehr nur als allgemeines öffentliches Museums- und Abendprogramm erfahrbar, sondern als eigenes Fachstudium. Man kann dies als Hinweis auf die Wahrnehmung und Etablierung der Kunstgeschichte als eigenständiges Fach auch in weiteren, nicht universitären Kreisen interpretieren. Auffällig ist, dass nach der Habilitation Lüthgens auf die vorher tätigen Dozenten aus dem Museumsbereich zunächst verzichtet wird. Da Vorlesungsentgelte üblich waren und ein Privatdozent auf diese angewiesen war - so man nicht über hinreichendes Privatvermögen verfügte -, muss es in Lüthgens Interesse gewesen sein, selbst möglichst viele Lehrveranstaltungen an der Handelshochschule zu übernehmen. Wie diese Maßnahme unter den Museumsleuten aufgefasst wurde, ist nicht bekannt. Anstelle von Menschen aus dem Museumsbereich wurde seit 1914/1915 Oberlehrer Dr. Schmitz herangezogen, der Vorlesungen zu den "Klassikern" wie Michelangelo, Dürer, Rubens sowie 1919 zur Romantik hielt. Daneben las ab 1916 auch der Bonner Privatdozent Dr. Bombe an der Kölner Handelshochschule zur spanischen, französischen und belgischen Kunst.