Ornament, Zeichen und Raum. Zur Konstruktion von Identität in nordspanischen Handschriften des 10.-12. Jahrhunderts
Das von der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderte Projekt untersucht die frühmittelalterliche Buchmalerei Nordspaniens und fragt nach ihrem Beitrag für die Bildung von Identitäten aufgrund sich seit 711 verschiebender politischer Grenzen und Räume zwischen christlich und muslimisch dominierten Gebieten und der damit verbundenen kulturellen Vielfalt auf der Iberischen Halbinsel. Es greift daher aktuelle Diskussionen um Identität und Grenze auf, die etwa die Auflösung der Nationalstaatlichkeit sowie die Erweiterung der Europäischen Union begleiten und knüpft sie an ein kunsthistorisches Phänomen: Gerade die reiche, etwa 30 illuminierte Exemplare umfassende Buchkultur des 10.-12. Jahrhunderts, welche sich durch eine Dichte von Ornamenten und Zeichen am Anfang und Ende der Codices auszeichnet, bietet sich in besonderem Maße an, um die Trias von Bildlichkeit, Identität und Grenze zu untersuchen.
Die Handschriften entstanden in Klöstern, die an den Grenzen der gegenüber der islamischen Hispania expandierenden christlichen Reiche gegründet wurden. Nachdem die Muslime 711 die Iberische Halbinsel fast vollständig erobert hatten, wurden seit dem 10. Jahrhundert schrittweise ehemals westgotisch christliche Gebiete zurückgewonnen. Aufgrund dieser räumlichen Bewegungen auf der einen sowie der einzigartigen gestalterischen Auszeichnung der Eröffnungs- und Schlussseiten nordspanischer Handschriften auf der anderen Seite stellt die Analysekategorie des Raumes das übergreifende methodische Instrumentarium dar. Damit schließt das Projekt in zweifacher Hinsicht eine Forschungslücke: So werden Besonderheiten nordspanischer Buchmalerei erstmals vor dem Hintergrund kulturhistorisch-politischer Rahmenbedingungen erforscht und überdies neue Zugriffsweisen auf die mittelalterliche Buchillumination im Allgemeinen entwickelt. Zentrale These ist dabei, dass sich verschiebende politische Räume und Grenzen eine Herausforderung für die Mönche als Produzenten sowie Rezipienten der Handschriften darstellten. Dieser wurde auf ästhetischer Ebene durch kodikologische Raumbildungen begegnet, welche sowohl ein- als auch ausschließend die Grundlage weiterer Identitäts- und Grenzbildungen darstellten.